Hendrik Epe hat in seinem Beitrag „User Experience in der Sozialen Arbeit“ folgende Aussagen gemacht, die ich sehr interessant und richtig finde:
„Auch die etablierten Anbieter personenbezogener sozialer Dienstleistungen, wie die schon erwähnten Wohlfahrtsverbände bspw., sind gezwungen, sich um die „User Experience“ ihrer Leistungen zu kümmern. Das heißt konkret, dass sie Nutzerinnen der Dienstleistungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Anbieter rücken müssen.
Das heißt konkret, dass neue, innovative Angebote der etablierten Träger aus der Perspektive der Nutzerinnen designt werden müssen.
Und der ruft die Organisationen auf, sich mit der Frage zu beschäftigen „Machen wir die richtigen Dinge?“
Meine ganz spontane Antwort darauf war die Behauptung: Wir machen die Dinge dann richtig, sprich wir arbeiten dann am richtigen Problem des Kunden, wenn das Geschäftsmodell langfristig ohne Fördermittel funktioniert.
Daraus ergeben sich gleich mehrere weitere Fragen, die ich im Folgenden beleuchten möchte:
BRAUCHEN SOZIALE ORGANISATIONEN EIN FUNKTIONIERENDES GESCHÄFTSMODELL? Wenn ja, warum? Und was heißt eigentlich funktionierend?
Die Realität bei ganz vielen sozialen Organisationen sieht so aus, dass sie Förderprogramme der EU, Bund, Kommune oder von privaten Stiftungen durchforsten, für sich überlegen, welche grundsätzlich mal passen könnten und welches Angebot sie in ihrer Organisation dafür „stricken“ könnten. Dann bewerben sie sich und dann wenn die Zusage da ist, die Gelder erhalten sind, fangen sie an, Teilnehmer für das Angebot zu finden. Das kann man so machen, wirft aber viele Probleme auf:
Zuerst mal stellt man damit die Frage: Machen wir die Dinge richtig und nicht, wie Hendrik Epe schon gesagt hat: Machen wir die richtigen Dinge? Mit dieser Vorgehensweise suchen wir dann nämlich Kunden für das Angebot und haben gar nicht überprüft und erfahren, ob es überhaupt ein Problem gibt.
Das ist tragisch, oft werden nämlich nicht genügend Teilnehmer gefunden – weil eben dann offensichtlich gar kein Problem aus Sicht des Kunden da war – und die Gelder müssen zurückgezahlt werden. Der ganze organisatorische Aufwand, den so eine Fördermittelaquise, -verwaltung und –dokumentation bedarf, will ich mal gar nicht ausführen. Dazu braucht man eigene Angestellte, damit das alles bewältigt werden kann. Macht das Sinn? Eher nicht. In meinen Augen ist das eine absolute Zeit- und Energieverschwendung und arbeitet völlig am Problem vorbei.
Deshalb stelle ich hier mal die These auf, dass auch soziale Organisationen ein funktionierendes Geschäftsmodell brauchen!
Die einzige Abhängigkeit, die darüber entscheiden darf, ob die (soziale) Organisation langfristig am Markt bestehen kann oder nicht, ist der Mehrwert/ Nutzen für den Kunden. Wenn der im Fokus steht und befriedigt werden kann und gleichzeitig alle Kosten gedeckt sind.. dann hat man die Gewissheit, dass das Geschäftsmodell stimmt.
Das heißt nicht, dass man keine Spenden annehmen darf. Ich nehme auch Spenden an, natürlich.. das macht einfach vieles leichter. Aber man darf die Existenz der Organisation nicht daran hängen. Und man sollte sein Angebot nicht davon abhängig machen.
Ich habe mich immer nur dann bei Stiftungen oder Fördermittelgebern beworben, bei denen ich relativ sicher wusste, dass der Antrag oder das Gespräch auch erfolgreich ist, bei anderen nicht. Und das habe ich auch nur am Anfang des Projekts gemacht, weil da größere Maschinen und Inventar gekauft werden musste.
Jetzt wo der Betrieb läuft, muss die ganze Organisation und das zugrundeliegende Geschäftsmodell BEWEISEN, dass es ohne externe Finanzhilfen funktioniert.
Wie können die Lösungen dafür aussehen? WIE KÖNNEN SOZIALE ORGANISATIONEN LANGFRISTIG OHNE FÖRDERMITTEL AUSKOMMEN?
Zuerst mal muss man DAS PROBLEM DER MENSCHEN IN DEN VORDERGRUND STELLEN, NICHT DAS ANGEBOT! Design Thinking ist ein guter Ansatz dazu, mit dem ich auch schon super Erfahrungen gemacht habe. Wir haben bei uns im Team auch Kommunikationsdesigner und Servicedesigner, mit denen wir immer wieder richtig gute Diskussionen haben und mit denen wir ständig die Richtung adjustieren, in die wir laufen.
WAS IST MIT PERSONAL UND DEN KOSTEN DAFÜR?
Sobald also der laufende Betrieb losgeht, muss man sich von Fördermitteln befreien und zusehen, dass die Organisation sich selbst aus den Einnahmen finanziert, weil das sonst eine riesen Abhängigkeit erzeugt, aus der schnell Fallstricke werden.
Irgendwann läuft jedes Förderprogramm mal aus und wenn man mit den ja nur zeitweise höheren Einnahmen z.B. Mitarbeiter eingestellt hat oder anderweitig seine Fixkosten erhöht hat, dann braucht man früher oder später wieder das Förderprogramm X oder den Spender Y, um diese Fixkosten zu bezahlen. Man kann sonst seinen Zahlungsverpflichtungen – die man sich selbst auferlegt hat, z.B. Personalkosten – nicht mehr nachkommen. Das ist ein echtes Problem und ich würde mal behaupten, dass schon mehr als eine soziale Organisation genau daran final gescheitert ist.
Ein zweiter Grund, warum ich nicht dafür bin, Mitarbeiter für die jeweilige soziale oder gesellschaftliche Aufgabe einzustellen, bevor das Unternehmen auf eigenen finanziellen Beinen steht, hat schlicht und ergreifend mit der Motivation zu tun.
Geld ist ein ziemlich schlechter Motivator in meinen Augen und nach meiner (eigenen) Erfahrung. Es gibt einfach keine besseren Mitarbeiter – mich eingeschlossen – als die die einen Sinn in ihrem Tun sehen, sich selbst wirksam erleben und die für eine Aufgabe brennen und ja vielleicht auch einen eigenen Nutzen davon haben, dass sie sich engagieren. Also sollte man sich auf die Suche nach genau diesen Menschen machen:
Man kann sich also fragen:
VON WELCHEN ANDEREN MENSCHEN KANN DAS ANGEBOT NOCH GENUTZT WERDEN? WER HÄTTE EINEN VORTEIL DAVON, WENN ER SICH ENGAGIERT UND GLEICHZEITIG NUTZER WERDEN KANN?
– Im niederländischen Deventer wohnen Studenten kostenlos in einem Seniorenheim, wenn sie sich mit den alten Menschen beschäftigen und Einkäufe erledigen.
– Im Werkraum Augsburg – das ist die Organisation, die ich geründet habe – können handwerklich ausgebildete Fachberater die Werkstätten für eigene Zwecke nutzen, wenn sie dafür zu den Öffnungszeiten, den Kunden/ Nutzern bei deren handwerklichen Projekten helfen.
– Im Grandhotel Cosmopolis, ebenfalls in Augsburg, wohnen Flüchtlinge und Hotelgäste miteinander in einem Haus zusammen. Die Flüchtlinge fühlen sich dort wohl, haben schöne Unterkünfte und sind auf der anderen Seite in den Hotelablauf integriert, helfen beim Saubermachen und kochen jeden Mittag verschiedenste Köstlichkeiten aus ihren Heimatländern für die Hotelgäste.
Das sind nur ein paar Beispiele, die zeigen sollen, wie die Personalkosten von Organisationen drastisch gesenkt werden können, indem man andere Nutzergruppen findet und eine Win-Win Situation für alle Beteiligten schafft.
STRATEGISCHE KOOPERATIONEN EINGEHEN
Dann kann man strategisch sinnvolle Kooperationen eingehen, indem man andere Unternehmen findet, die Interesse an der Dienstleistung oder dem Produkt haben oder in sonst einer Weise einen Vorteil vom Angebot haben.. mit denen kann man kooperieren:
Im Falle vom Werkraum lösen wir damit z.B. folgende Probleme:
– Es entstehen in der Holzwerkstatt jeden Monat 20-30 Säcke Hobelspäne. Diese geben wir an Tierheime und Gnadenhöfe weiter. Damit sparen wir uns die kostenpflichtige Entsorgung und müssen uns auch um nichts kümmern, weil alles abgeholt wird.
– Außerdem entstehen in der Holzwerkstatt ca. 5 Kubikmeter Leimholzabfälle im Monat. Das wird ebenfalls kostenlos abgeholt. Derjenige hat einen speziellen Ofen, in dem er das alles verbrennen kann und damit heizt.
– Wir haben kostenlos Internet, Telefon und einen WLAN Hotspot im Tausch gegen Mitgliedschaften.
Das sind auch nur ein paar Beispiele und macht ja den Braten auch nicht fett.. soll aber nur zeigen, dass man da durchaus mit Kreativität ein ganzes Stück weiterkommt in seiner Kostenstruktur.
MITARBEITER WERDEN ZU KUNDEN UND KUNDEN WERDEN ZU MITARBEITERN
Und außer dem Effekt, dass Personalkosten gespart werden können, hat man auch, wie oben schon angesprochen, ein ganz anderes Committment von den Menschen, als wenn es nur „normale“ Angestellte sind. Man schafft einen Mehrwert für sie, den sie selbst auch als Mehrwert für sich empfinden. Dann kann man die Mitarbeiter an sein Unternehmen binden, ohne sie materiell zu bezahlen bzw. die Bezahlung ist ein konkreter Mehrwert, den die Organisation selbst bietet.
Somit ist die Chance, dass der Kunde überzeugt ist, gleich auch mal viel höher, denn er bekommt erstklassiges Feedback zum Angebot. Kunden und Mitarbeiter sitzen quasi im selben Boot, arbeiten miteinander und lernen voneinander für die Zukunft.
Im Werkraum z.B. ist der Kontakt zwischen Kunden und Mitarbeitern großartig, weil auf einer viel höheren Verständnisebene miteinander gearbeitet wird. Und auch das Bedürfnis der Mitarbeiter das gesamte Projekt voranzubringen, funktionierende Strukturen zu schaffen, Ordnungssysteme zu etablieren, das Angebot zu verbessern etc.. ist viel höher, weil ja am Ende alle – auch die Mitarbeiter selbst – davon profitieren.
Und wir haben auch schon oft die Erfahrung gemacht, dass Kunden zu Mitarbeitern werden. Das ist natürlich auch toll, weil wir somit so gut wie keinen Aufwand ins Recruiting stecken müssen und die Gemeinschaft stetig und mit den „richtigen“ Leuten wächst.
SOCIAL MEDIA UNBEDINGT NUTZEN
Ein richtig wichtiger Punkt – und da haben viele der bestehenden sozialen Organisationen ein riesen brachliegendes Potential – betrifft den Social Media Auftritt.
Social Media ist meines Erachtens essentiell und absoluter Bestandteil der User Experience. Damit kann man die Öffentlichkeit einbinden, interne Strukturen und Erfolge sichtbar machen, Erlebnisse und Ereignisse präsentieren, finanzielle Spenden und Materialspenden erfragen, Crowdfunding Kampagnen unterstützen und man kann damit Kunden zu Fans machen.
MACHE DEINE KUNDEN ZU FANS
Wenn die Organisation mit der Hilfe von Social Media völlig transparent ist, dann werden Kunden zu Fans und verstehen den Nutzen viel intuitiver. Über Preise wird dann auch nicht mehr verhandelt, jeder weiß genau, wozu das Geld an anderer Stelle gebraucht wird. Sie wissen, was die Organisation alles leistet, damit die Menschen/ Kunden/ Nutzer glücklich und zufrieden sind, welcher gesellschaftliche Mehrwert geschaffen wird oder welches Umweltproblem gelöst wird.
Und last but not least..
DIE GEMEINNÜTZIGKEIT HILFT
Die Gemeinnützigkeit vom Finanzamt bestätigt zu bekommen, bringt eine deutliche Erleichterung, weil man überhaupt Spenden erhalten kann und auch steuerliche Vergünstigungen gegenüber normalen Wirtschaftsunternehmen erhält. Das sollte man als soziale Organisation auf jeden Fall „mitnehmen“.
Damit kann man sich dann nicht nur bei nationalen Preisausschreiben beteiligen, sondern auch z.B. beim Google adgrants Programm, womit man kostenlos adwords Werbung schalten kann, was zu deutlich höherer Reichweite und mehr Sichtbarkeit führt.
MEIN FAZIT:
Soziale Organisationen, die finanziell auf eigenen Füßen stehen und sich nicht von Fördermitteln abhängig machen, sind gezwungen sich auf den Kundennutzen zu konzentrieren und die User Experience in den Fokus aller Überlegungen zu stellen. Das ist Erfolg! Damit meine ich nicht wirtschaftlichen Erfolg, denn die wirtschaftliche Tragfähigkeit kann immer nur Mittel zum Zweck sein und niemals das Ziel – das ist bei normalen Unternehmen übrigens auch so, auch wenn mir da manch einer wahrscheinlich widersprechen würde.